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Prof. Dr. Tobias Singeln­stein: "Polizei­ge­walt"

15. Juli 2013

Die Brisanz des Themas Polizeigewalt hat in den letzten Wochen und Monaten erheblich an Bedeutung gewonnen. Die wiederkehrenden Berichte über massive und gewaltsame Übergriffe durch die Polizei werden aktuell und medienwirksam durch Vorfälle in der Türkei und in Brasilien veranschaulicht. Auch in Deutschland sorgte das polizeiliche Vorgehen während der Proteste der Blockupy-Bewegung in Frankfurt am Main vor wenigen Wochen für ein gewisses mediales Echo. In der letzten Woche hat ein Video über den tödlichen Schuss eines Polizeibeamten auf einen nackten Mann im Neptunbrunnen in Berlin eine Diskussion um den Einsatz von Schusswaffen ausgelöst.
Der Vortrag von Tobias Singelnstein, den er vor 110 Besucherinnen und Besuchern hielt, kam somit genau zum richtigen Zeitpunkt. Herr Singelnstein ist Juniorprofessor für Strafrecht und Strafverfahrensrecht an der Freien Universität Berlin und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Sicherheitsdiskursen und insbesondere mit dem Agieren staatlicher Behörden innerhalb dieser Diskurse. Dementsprechend fokussierte er seinen Vortrag auf den Umgang mit Polizeigewalt bei der Strafverfolgung. Die rechtswidrige Ausübung von Gewalt durch Polizeibeamte erfüllt regelmäßig den Straftatbestand der (versuchten) Körperverletzung im Amt. Die Frage, der Tobias Singelnstein aus kriminologischer Sicht nachging, war, ob bei der Strafverfolgung gegen Polizisten besondere Mechanismen greifen, die dazu führen, dass diese seltener angeklagt und verurteilt werden.
Die hierzu vorgetragenen Befunde sprechen eine deutliche Sprache. Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt werden signifikant häufiger eingestellt als andere vergleichbare Verfahren. So bleiben von jährlich über 2000 eingeleiteten Verfahren weniger als 100 übrig, die zur Anklage kommen. Auch die Verurteilungsquote nach Anklage ist deutlich geringer als in sonstigen Strafverfahren. Die Gründe hierfür sieht Singelnstein sowohl außerhalb wie innerhalb der Staatsanwaltschaft, die für die Strafverfolgung verantwortlich ist. Außerhalb des unmittelbaren staatsanwaltschaftlichen Einflusses sei insbesondere die polizeiliche Ermittlungsarbeit ein Problem, die mangelhaft ablaufe, wenn es um die Verfolgung von Kollegen ginge. Hier spiele der sog. Corps-Geist eine große Rolle. Zudem sei auch die Beweissituation in Fällen von polizeilichen Übergriffen, bei denen zumeist eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation bestehe, regelmäßig schwierig. Innerhalb der Staatsanwaltschaft gebe es zudem einen Interessenkonflikt, da Polizisten als „Verbündete“ gesehen würden, die gerade als Zeugen besonders verlässlich und effizient seien. Insofern werde der Aussage von Polizisten regelmäßig mehr Bedeutung zugemessen als der des möglichen Opfers.
Das Fazit, das Singelnstein zog, war deutlich. Rechtswidrige Gewalt von Polizisten werde weit weniger intensiv verfolgt als andere Gewalttaten. Das Strafrecht sei als Mittel der Aufarbeitung diese Übergriffe ungeeignet.

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