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Wen oder was schützt der Verfas­sungs­schutz?

18. September 2021
Ort:Kinosaal im Kommunalen Kino (Alter Wiehrebahnhof, Urachstraße 40, 79102 Freiburg)
Datum: Montag, 20. September 2021
Uhrzeit:19:00 Uhr

Ankündigung

Martin Kutscha, emeritierter Professor für Staatsrecht und Mitverfasser des Buchs „Was heißt hier eigentlich Verfassungsschutz?“, untersucht, warum dieser Geheimdienst trotz seiner häufig rechtswidrigen Aktionen und seines Versagens in der Abwehr rechtsterroristischer Anschläge mit immer mehr Mitteln, Personal und erweiterten Befugnissen ausgestattet wird. Es geht auch um die Frage, ob der VS überhaupt geeignet ist, Gefahren von rechts abzuwehren. Und wie eine Behörde aussehen könnte, die nicht im Dienst einer politisch gewollten Amtsanmaßung steht und die unserer demokratischen Verfassungsordnung keinen Schaden zufügt.

Diese Veranstaltung findet im Rahmen der Aktion „Verfassungsschutz – Fremdkörper in der Demokratie“ statt.

Aufzeichnung

Eine Aufzeichnung des Vortrags kann auf unserem YouTube-Kanal abgerufen werden.

Bericht

Bereits am 20. September fand im Kommunalen Kino in Freiburg die Auftaktveranstaltung dieser Veranstaltungssreihe statt. Vor dem mit circa 40 Teilnehmer*innen (unter Corona-Bedingungen) voll besetzten Kinosaal referierte und diskutierte Martin Kutscha, emeritierter Professor für Staatsrecht aus Berlin sowie ehemaliges und neues Mitglied des Bundesvorstands der Humanistischen Union, zum Thema „Wen oder was schützt der Verfassungsschutz?“.

Zunächst erinnerte Kutscha an die lange Liste von Verfassungsschutz-Skandalen, insbesondere an die Mordserie des NSU und den Anschlag auf dem Breitscheidplatz. In beiden Fällen waren die Terroristen nicht nur umgeben von V-Leuten, die die Taten nicht verhindern konnten. Der Verfassungsschutz behinderte sogar die polizeilichen Ermittlungen und machte eine umfassende Aufklärung unmöglich. Dennoch werden die Befugnisse, die Finanzmittel und das Personal der Verfassungsschutzbehörden ständig erweitert. Der angebliche Grund ist die Terrorismusbekämpfung, doch sei die Gefahrenabwehr eigentlich Aufgabe der Polizei.

Vielmehr zeige sich der Verfassungsschutz als Gefahr für den demokratischen Willenbildungsprozess. Anstatt Informationen über Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung (fdGO) zu sammeln, bespitzele er Demokraten. Bekannte Fälle, in denen nachträglich die Rechtswidrigkeit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz festgestellt wurde, seien Rolf Gössner, Anwalt und Bürgerrechtler, Bodo Ramelow, Politiker der Linkspartei und Ministerpräsident in Thüringen, und Martin Dulig, Vorsitzender der SPD Sachsen.

Die Behauptung, beim Verfassungsschutz handele es sich nur um einen Nachrichtendienst, stelle sich auch als falsch heraus. Tatsächlich handele er als Geheimdienst und hat mit dem V-Leute-System zum Aufbau und zur Finanzierung rechtsextremer Strukturen beigetragen. Gleichzeitig bedrohe er die Pressefreiheit, in dem er zum Beispiel die Junge Welt als verfassungsfeindlich beobachtet.

Schließlich warf Kutscha die Frage auf, ob man den Verfassungsschutz überhaupt brauche. Der Verfassungsschutz sei als Kind des kalten Krieges, das von Altnazis aufgebaut wurde, ein politisches Instrument gegen links und ungeeignet zum Schutz der Verfassung, der vielmehr dem demokratischen Souverän obliege. Der Schutz vor Gewalttätern und Terrorismus sei immer schon ureigentliche Aufgabe der Polizei. Also: Nein, wir brauchen keinen Verfassungsschutz.

In der anschließenden Diskussion spielte die Rolle der Polizei als Ersatz für den Verfassungsschutz eine große Rolle. Ist es nicht egal, unter welchem Namen die Bespitzelung erfolgt? Gibt es nicht auch bei der Polizei rechte Zirkel? Werden nicht auch die Polizeigesetze regelmäßig um Überwachungsbefugnisse erweitert? Kutscha stellte zunächst klar, dass keine neuen Befugnisse für die Polizei geschaffen werden müssten, da die Gefahrenabwehr bereits zu ihren Zuständigkeiten gehöre. Die gerichtliche und parlamentarische Kontrolle der Polizei sei deutlich besser gewährleistet als beim Verfassungsschutz, dessen parlamentarische Kontrollorgane „blinde Richter ohne Schwert“ seien. Außerdem handele die Polizei grundsätzlich offen und nicht im Geheimen, auch wenn es Ausnahmen gibt. Er rief jedoch zur Wachsamkeit bei der Verschärfung von Polizeigesetzen und bei der Bildung rechter Gruppen nicht nur bei der Polizei, sondern auch bei der Bundeswehr auf.

Ein weiteres wichtiges Thema in der Diskussion war die Frage, weshalb der Verfassungsschutz trotz der vielen Skandale von der Politik weiter ausgebaut wird. Kutscha verwies hier auf verschiedene Motive: Manche nützten den Verfassungsschutz wohl bewusst als Instrument gegen den politischen Gegner und zur Verteidigung der eigenen Regierungspolitik und der herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Bei anderen sei es eher Naivität, dass dem Verfassungsschutz die Bekämpfung von Islamismus und Rechtsextremismus zugetraut werde und ihm daher diese Aufgaben delegiert werden.

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